Die Gestaltung von Methoden zur Unternehmensmodellierung – Aktuelle und zukünftige Herausforderungen

Sehr geehrter Herr Sinz!

Es ist mir eine große Freude, im Rahmen dieser Online-Festschrift einige Grußworte an Sie richten zu dürfen. Im Sinne der Fortführung unseres wissenschaftlichen Diskurses, den wir in den vergangenen Jahren im Rahmen der verschiedenen Tagungen zur Modellierung und Wirtschaftsinformatik gepflegt haben, möchte ich dies mit einigen Gedanken zum derzeitigen Stand bei der Gestaltung von Methoden zur Unternehmensmodellierung verbinden und Herausforderungen skizzieren, die sich aus meiner Sicht in der Zukunft ergeben werden. Auch wenn im Rahmen dieses Beitrags diese Themen nur kurz charakterisiert werden, ist damit die Intention verbunden, Anregungen zur Weiterentwicklung der Modellierung im Kontext der Wirtschaftsinformatik zu geben und so die Grundlage für weitere Überlegungen und Diskussionen aufzubereiten.

Der Einsatz von Methoden zur Unternehmensmodellierung kann in der Wirtschaftsinformatik bereits auf eine lange Historie zurückblicken. Waren es in den Anfängen primär Methoden zur Daten- und Prozessmodellierung, die nicht nur im akademischen Umfeld sondern auch in der betrieblichen Praxis große Verbreitung erfuhren, so kamen bald Überlegungen auf, Modellierungssprachen stärker auf die Bedürfnisse der Anwender auszurichten und sogenannte domänen-spezifische Varianten oder sogar eigene, für bestimmte Domänen gestaltete Modellierungsmethoden zu erstellen. Das von Ihnen und Herrn Ferstl entwickelte Semantische Objektmodell (SOM) ist heute einer der bekanntesten und am besten spezifizierten Vertreter dieser Ausrichtung in der betrieblichen Modellierung (Ferstl & Sinz, 1990).

Neben der formalen Spezifikation derartiger Methoden, die für die Nachvollziehbarkeit, Vergleichbarkeit und Überprüfbarkeit unerlässlich ist, ist auch die technische Umsetzung in Form von Modellierungswerkzeugen von besonderer Bedeutung für den Einsatz in der wissenschaftlichen und betrieblichen Praxis. Durch die Verfügbarkeit von spezialisierten Plattformen zur technischen Umsetzung von Modellierungsmethoden konnte dabei in den letzten Jahren erfreulicherweise eine bedeutende Erleichterung bei der technischen Entwicklung erzielt werden. An dieser Stelle seien hier wiederum beispielhaft die Umsetzung des SOM Tools (Bork & Sinz, 2013) sowie weitere Ansätze für Modellierungswerkzeuge für domänen-spezifische Sprachen genannt, die vor kurzem publiziert wurden (Karagiannis, Mayr, Mylopoulos, 2016).

Auch wenn die technische Umsetzung von neuen Modellierungsmethoden somit stark vereinfacht wurde, besteht aus meiner Sicht heute die Herausforderung, die vorhandenen technischen Möglichkeiten optimal zu nutzen. Neben der Gestaltung der domänen-spezifischen Aspekte der Modellierungssprache spielen dabei insbesondere die Aspekte Nutzer-/ Serviceinteraktion sowie die Verarbeitung und Speicherung der Modellinformationen eine zentrale Rolle. Aufgrund der Tatsache, dass Modelle heute nicht nur bzw. nicht alleine von Menschen erzeugt werden, sondern z.B. im Rahmen des Unternehmensarchitekturmanagements oder des Qualitäts-/ Geschäftsprozessmanagements zum Teil durch Softwareagenten bereitgestellt werden, ist es erforderlich, dies im Rahmen der Gestaltung einer Modellierungsmethode entsprechend zu berücksichtigen. Beispielsweise ist es somit nicht mehr ausreichend, auf die Angaben eines Nutzers zur Anordnung der Elemente in einem visuellen Modell zu vertrauen, sondern es müssen zusätzlich automatische Mechanismen vorgesehen werden, die sowohl Nutzer als auch Softwareagenten bei der Erstellung von adäquaten visuellen Ansichten unterstützen. Die jeweiligen visuellen, mentalen Modelle der Nutzer bei der Erstellung von Modellen sind dabei genauso zu berücksichtigen wie die technischen Möglichkeiten von Anordnungsalgorithmen. Es kommt somit im Rahmen der Modellinteraktion zu einer „Ko-Interaktion“ von Mensch und Maschine, die entsprechend aufeinander abgestimmt werden muss. Ein weiterer Aspekt in diesem Kontext ist die Gestaltung der Notation von visuellen Modellierungssprachen, der eine große Bedeutung für das intuitive Verständnis der Sprachelemente, Relationen und Attribute zukommt und deren Umsetzung große Erfahrung im visuellen Design voraussetzt.

Gleichzeitig muss die Verarbeitung und Ablage der Modellinformationen auf einer technischen Ebene miteinbezogen werden. Dank der kontinuierlichen Weiterentwicklung von semantischen Technologien stehen heute zahlreiche Austauschformate und Ansätze zur Verfügung, die eine semantische Verarbeitung von Modellinformationen nicht nur im lokalen Kontext sondern auch über System- und Organisationsgrenzen hinweg erlauben. Beispielhaft genannt sei die Verknüpfung mit web-basierten Formaten für Ontologien (Fill, 2016). Im Zusammenspiel mit der korrekten Abbildung von domänen-spezifischen Informationen und der Nutzer-/Serviceinteraktion muss darauf geachtet werden, mögliche Schnittstellen zu externen Systemen adäquat zu integrieren.

Zusammenfassend ergeben sich zahlreiche Herausforderungen durch die Abstimmung der verschiedenen Ausprägungsvarianten für domänen-spezifische Modellierungsmethoden und es liegt an den Gestaltern der jeweiligen Methode, die Gewichtung und Umsetzung der Aspekte entsprechend einfließen zu lassen. Aus wissenschaftlicher Sicht und aus Sicht der universitären Lehre in der Wirtschaftsinformatik sind somit die Grundlagen zum Verständnis der Ausprägungsformen und deren Abhängigkeiten, sowie das Wissen über deren technische Umsetzung bereit zu stellen.

Neben diesen aktuellen Herausforderungen soll auch ein Blick auf mögliche zukünftige Entwicklungen skizziert werden. Es ist absehbar, dass in Zukunft die Vernetzung von Dingen im persönlichen wie im betrieblichen Bereich ein bis dahin nicht gekanntes Ausmaß erreichen wird. Die in der wissenschaftlichen Forschung seit einigen Jahren diskutierten Verfahren unter Begriffen wie Ubiquitous oder Pervasive Computing und die aktuelle Umsetzung in der Praxis unter dem Begriff des Internet der Dinge (Internet-of-Things, IoT) stellen hier die maßgeblichen Grundlagen bereit. Diese Vernetzung wird einerseits zu einer noch deutlicheren Ausprägung der Ko-Interaktion bzw. Ko-Existenz von Mensch und Maschine führen wie oben bereits angeschnitten. Andererseits wird sich die Frage stellen, wie Menschen – und im Falle der Wirtschaftsinformatik insbesondere betriebliche Entscheidungsträger – mit der damit einhergehenden Komplexität umgehen werden. Diese Komplexität betrifft nicht nur den heute intensiv diskutierten Umgang mit den durch die Vernetzung entstehenden gewaltigen Datenmengen, sondern auch die Gestaltung von zukünftigen betrieblichen Informationssystemen durch eine a-priori Erarbeitung und Bewertung von Alternativszenarien. Nicht zuletzt werden dabei die wieder aufkommenden und in ihrer Leistungsfähigkeit stark gesteigerten Ansätze im Bereich der künstlichen Intelligenz zur Verarbeitung von unstrukturierten Informationen miteinzubeziehen sein.

Worin kann nun ein Beitrag der Modellierung zu diesen zukünftigen Herausforderungen liegen? Einer der Kernaspekte der Modellierung ist aus meiner Sicht die Bereitstellung von „Invarianten“ in hoch komplexen und sich rasant ändernden Umgebungen, die sich im Zeitablauf langsamer als die Umwelt ändern, die die Komplexität von betrieblichen Informationssystemen durch Abstraktion reduzieren und die für mehrere Anwendungsfälle einsetzbar sind. In welcher Form und bis zu welchem Ausmaß derartige Invarianten ausgeprägt sind, unterliegt sich immer wieder ändernden Trends und ist häufig Ausdruck einer individuellen Auffassung. Die Gestaltung von Modellierungsmethoden im Sinne der sogenannten „Metamodellierung“ kann daher auch in Zukunft Invarianten für die genannten Herausforderungen erarbeiten, diese formal beschreiben und technisch umsetzen. Ob sich die dabei entstehenden Methoden möglicherweise fundamental von den uns heute bekannten Formen unterscheiden, lässt sich noch nicht beurteilen. Die bestehenden Grundlagen zur Modellierung und insbesondere Ihre Arbeiten zur Gestaltung von Modellierungsmethoden stellen eine solide Ausgangsbasis dar, um zukünftige Forschungstätigkeiten in diesem Bereich bestmöglich zu unterstützen und zukünftigen Forscherinnen und Forschern die Kernaufgaben der Modellierung zu vermitteln.

Es würde mich sehr freuen, wenn wir uns auch in Zukunft zu diesen und anderen spannenden Themen der Modellierung austauschen können – es gibt viel zu tun!

In diesem Sinne darf ich Ihnen, lieber Herr Sinz, alles Gute wünschen und freue mich auf zukünftige Diskussionen!

Mit herzlichen Grüßen,
Hans-Georg Fill

 

 

Bork, D., Sinz, E.J. (2013): Bridging the Gap from a Multi-View Modelling Method to the Design of a Multi-View Modelling Tool, Enterprise Modelling and Information Systems Architectures – An International Journal, Vol. 8, No. 2, S. 25-41.

Ferstl, O.K., Sinz, E.J. (1990): Objektmodellierung betrieblicher Informationssysteme im Semantischen Objektmodell (SOM), Wirtschaftsinformatik, Band 32, Heft 6, S. 566 – 581.

Fill, H.-G. (2016): SeMFIS: A Flexible Engineering Platform for Semantic Annotations of Conceptual Models, akzeptiert für Semantic Web (SWJ).

Karagiannis, D., Mayr, H.C., Mylopoulos, J. (Eds.) (2016): Domain-Specific Conceptual Modeling Concepts, Methods and Tools, Springer.